RENATE NIKA: Lieber Armin, du bist gerade bei der Gesamtösterreichischen Werkwoche für Kirchenmusik. Wie ist die Stimmung?
ARMIN KIRCHER: Soweit ich es einschätzen kann, fühlen sich alle – die Teilnehmer/innen und Referent/innen – sehr wohl. Wir sind ja heuer mit der Werkwoche erstmals in St. Virgil, dem Bildungshaus der Erzdiözese Salzburg. Von daher ist es für fast alle ein neues Ambiente. Die räumlichen Voraussetzungen mit den Seminarräumen, einem großen, hellen Proberaum für den Gesamtchor und der Hauskapelle für die liturgischen Feiern sind ideal. Und was für das gemeinschaftliche Wohlbefinden enorm wichtig ist: das Essen schmeckt allen bestens. Mich freut es, dass heuer über 40 Personen erstmals zur Werkwoche gekommen sind. Insgesamt haben sich 110 Sängerinnen und Sänger angemeldet. Unsere jüngste Teilnehmerin ist 14 Jahre alt.
RN: Die wievielte Woche ist es für dich?
AK: So ganz genau kann ich das jetzt nicht sagen. Schon als Schüler war ich bei den Werkwochen Anfang der achtziger Jahre dabei. Prof. Bogensberger hat damals die Wochen organisiert und ich als seine Schüler durfte ihm bei der Vorbereitung für die Woche helfen. Jahrelang war ja das Borromäum, das kleine Seminar der Erzdiözese Salzburg, die Heimstätte der Österreichischen Kirchenmusik-Werkwoche. So bin ich mit der Werkwoche vertraut geworden. Ja und dann im Jahr 1992 war es meine erste Woche, für deren Organisation ich verantwortlich war, nachdem Sepp Bogensberger seine Funktion nach 25 Jahren abgab und ich von der Österreichischen Kirchenmusikkommission als sein Nachfolger ernannt worden bin. Und jetzt sind es dann bei mir 25 Jahre.
RN: Wie bist du zur Kirchenmusik gekommen?
AK: Mit zehn Jahren kam ich 1977 aus meiner Tiroler Heimat nach Salzburg in das Internat vom erzbischöflichen Privatgymnasium Borromäum, wo ich dann auch maturiert habe. Diese Jahre waren für mich nicht nur in musikalischer Hinsicht eine prägende Zeit. Meinen Musikprofessoren Ernst Payr, er war Priester und ein hervorragender Klavier- und Orgelimprovisator, und Josef Bogensberger habe ich da sehr viel zu verdanken. Ich sang im Schulchor. Casalis G-Dur Messe war die erste lateinische Messe, die ich im Sopran gesungen habe. Dann haben wir auch die kleinen Messen Mozarts einstudiert und eine Reihe von Eigenkompositionen unseres damaligen Chorleiters Ernst Payr. Bei ihm begann ich auch mit dem Harmoniumunterricht, weil ich ja Orgel lernen wollte – und dafür war eben das Harmonium die Voraussetzung und nicht das Klavier, was für mein Studium am Mozarteum doch eine bessere Basis für die Fingerfertigkeit gewesen wäre.
RN: Du bist Kirchenmusikreferent der Erzdiözese Salzburg und Stiftskapellmeister der Erzabtei St. Peter. Seit wann machst du das? War das deine erste Stelle nach dem Studium oder hast du davor noch wo anders eine Anstellung gehabt?
AK: Bereits während des Kirchenmusikstudiums habe ich eine Anstellung bei der Erzdiözese Salzburg im Kirchenmusikreferat bekommen. Mein 25-jähriges Dienstjubiläum ist schon wieder einige Zeit her. Mein Studium finanzierte ich als Chorleiter und Organist in der Salzburger Stadtpfarrkirche St. Andrä. In dieser Zeit spielte ich jeden Sonn- und Feiertag normalerweise fünf Gottesdienste und wohnte im Pfarrhof am Mirabellplatz, direkt neben dem Mozarteum. Mit meinem damaligen Ensemble, der „Capella Salisburgensis“, übernahm ich Gottesdienstgestaltungen in verschiedenen Kirchen Salzburgs, so auch in der Stiftskirche St. Peter. Der erste „Auftritt“ dort war die Feier der ewigen Profess des jetzigen Erzabtes Korbinian Birnbacher. 1995 wurde dann die Stiftsmusik auf Betreiben des damaligen Kirchenrektors P. Winfried Bachler vom Kloster institutionalisiert.
RN: In den letzten Jahren warst du ja sehr intensiv mit dem neuen „Gotteslob“ beschäftigt. Als Koordinator der GGBÖ-Kommission hattest du ein großes Arbeitspensum zu bewältigen. Wie ließen sich deine vielen Aufgaben vereinbaren?
AK: Es war wirklich eine Überfülle an Arbeit auf den verschiedenen Baustellen, denn neben dem „Gotteslob“ musste ja auch alles andere im Kirchenmusikreferat quasi normal weitergehen. Ich bin da sehr dankbar für mein Sekretariat, wo Martina Gschaider eine großartige Arbeit macht.
RN: Gut gelungen ist meiner Meinung nach das Kantorenbuch Österreich zum Gotteslob. Bei welchen anderen Publikationen hast du inzwischen mitgearbeitet?
AK: Im Grunde war ich als Koordinator für das Gotteslob in Österreich an allen offiziellen Produkten rund um das Gotteslob Österreich beteiligt: beim Orgelbuch, dem Kantorenbuch, dem Band Vorspiele/Intonationen, dem Themenregister, der Konkordanz und jetzt kam das Bläserbuch auf meinem Schreibtisch zu liegen. Ein umfangreiches Projekt war das zweibändige Orgelbuch light, mit dreistimmigen Sätzen, teils mit einer instrumentalen Überstimme, zu allen musikalischen Teilen im Gotteslob Stammteil.
RN: Jedes Jahr erscheinen mehrere von dir herausgegebene Editionen von kirchenmusikalischen Werken oder Sammlungen. Ist Salzburg so reich an musikalischen Quellen?
AK: Ja, so ist es – ein Teil meiner Editionen beschäftigt sich mit dem spezifischen Repertoire in Salzburg. Schwerpunkt ist dabei die Kirchenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts. Und da hat Salzburg wirklich eine Überfülle zu bieten, sei es im Archiv der Dommusik, im Stift St. Peter oder im Franziskanerkloster. Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Ernst Eberlin, Anton Cajetan Adlgasser, Leopold Mozart, Luigi Gatti und Johann Michael Haydn sind die bekanntesten Namen. Da schlummert noch vieles an interessanter Musik.
RN: Heuer bei der Werkwoche ist ein großes Werk, das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart, einstudiert worden. Machst du als Salzburger besonders gerne Werke von Mozart oder gibt es da andere Komponisten, die zu deinen Favoriten gehören? Welches musikalische Repertoire ist dein Schwerpunkt in St. Peter?
AK: Es ist schon etwas Besonderes, in Salzburg Mozart zu musizieren. Ich stehe in der Stiftskirche St Peter dort, wo auch schon die Mozarts und Michael Haydn musiziert und ihre Werke zur Aufführung bzw. zur Uraufführung brachten. Am authentischen Ort zu musizieren, Musik in der herausragenden Akustik der Stiftskirche zusammen mit einem über die Jahre zusammengewachsenen Ensemble gestalten zu können, das ist ein wirkliches Geschenk. Unser Kernrepertoire ist die Kirchenmusik aus Barock und Klassik, mit einem Schwerpunkt auf Michael Haydn: Es gibt wohl keinen Chor auf der Welt mit einem derartigen Repertoire an Werken Michael Haydns. In den letzten zwanzig Jahren waren es an die 40 verschiedenen Werken aus seiner Feder. Einen Kontrapunkt dazu bietet Johann Sebastian Bach, mit dessen Kantaten und einzelnen Messsätzen wir immer wieder Gottesdienste gestalten. Schwieriger wird es mit der romantischen Musik. Da wird es dann schon eng auf der Empore, wie bei der heurigen „Langen Nacht der Kirchen“, wo wir Dvoraks Te Deum und Mendelssohn Bartholdys „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“ zur Aufführung brachten.
RN: Wenn du viel Geld zur Verfügung hättest und du dir dein/e Wunsch-Solistinn/en und Orchester aussuchen könntest: Welches Werk würdest du gerne einmal aufführen?
AK: Da brauche ich gar nicht lang zu überlegen. Ein absoluter Herzenswunsch wäre das Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ von Franz Schmidt. Dieses Oratorium mit der Schilderung der biblischen Apokalypse fasziniert mich seit meiner Studienzeit. Ich konnte es intensiv und hautnah kennenlernen, weil ich Prof. Rudolf Scholz im Festspielsommer 1987 dabei registrieren durfte. Die szenische Umsetzung von George Tabori in der Salzburger Universitätskirche war damals ja ein riesiger Skandal, der mit der Absetzung der Produktion endete.
RN: Du lebst in Salzburg – gehst du auch zu den Salzburger Festspielen? Hast du den „Jedermann“ schon live gehört und gesehen?
AK: Ich hab die Festspiele vor der Haustür. Nicht einmal fünf Minuten brauche ich von meiner Wohnung zum Festspielhaus. Da nütze ich das kulturelle Angebot der Sommermonate. Im Rahmen der Ouverture spirituelle stehen heuer die Missa solemnis von Beethoven, Franz Schuberts As-Dur Messe und Anton Bruckners f-Moll Messe auf dem Programm. Ich freue mich schon auf Beethovens Fidelio und Bellinis Norma, den Rosenkavalier und Purcells „Dido“. Und wenn dann der 87-jährige Bernhard Haitink Bruckners 8. Symphonie mit den Wiener Philharmonikern dirigiert, ist das schon ganz was Besonderes. Den Jedermann kenne ich nun schon in mehreren Inszenierungen. Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes vor der eindrucksvollen Kulisse des Salzburger Doms geht einem schon unter die Haut!
RN: Was sind deine nächsten Projekte?
AK: Da gibt es auch wieder verschiedene Baustellen: Bei den Editionen ist die Herausgabe aller Messen Michael Haydns im Carus-Verlag, Stuttgart, ein längerfristiges Projekt, das aber permanente Arbeit bedeutet. Jährlich erscheinen zwei bis drei Messen. Im heurigen Jahr sind es neben der Missa Sanctorum Cyrilli et Methodii die Michaels- und die Raphaels-Messe. Erscheinen wird auch noch ein Band mit Orgelwerken von Georg Friedrich Händel. Bei der Stiftsmusik steht am 11. Oktober Johann Sebastian Bachs h-Moll Messe auf dem Programm. Dann ist das Jahresprogrammes 2016 mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Salzburger Kirchenmusik der letzten 200 Jahre vorzubereiten. Grund dafür ist das Jubiläum 200 Jahre Salzburg bei Österreich. Im Kirchenmusikreferat laufen die Vorbereitungen zum Kirchenmusikalischen Herbst, einer Konzertreihe in der Verbindung von Musik und Wort, die heuer zum 10. Mal stattfindet. Ein Heft mit Erntedankliedern ist in Arbeit, wie auch die durch das Gotteslob notwendig gewordenen Neuausgaben der Scholahefte des Kirchenmusikreferates (Rorate, Laudate, Magnificat, Requiem) und eines Heftes mit Bläserüberchören zu Liedern aus dem Gotteslob. Fad wird’s mir nicht...